Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.7                                                   Januar 1995


Sagen der Stubnitz (II)

6. Der Pfennigkasten

Eine Viertelstunde westlich vom Herthasee, unmittelbar neben dem Fußsteige, welcher von dort nach dem Dorf Hagen führt, liegt ein geöffnetes Steinkistengrab, welches von den Bewohnern Jasmunds der Pfennigkasten genannt wird und mit dem benachbarten Heiligtum der Hertha in Verbindung gebracht wird. Man erzählt nämlich, daß der Priester das der Göttin Hertha gespendete Opfergeld hierher gebracht und in der Steinkiste verwahrt habe.

Mündlich und Grümbke: Darstellungen von der Insel und dem Fürstentume Rügen. Berlin 1819. 11 S 232 f - Der Name "Pfennigkasten" begegnet zuerst bei Schwartz: Einleitung zur Geographie des Norder-Teutschlandts, Greifswald 1745, S.101. Zöllner: Reise durch Pommern nach der Insel Rügen, Berlin 1797, S. 526 berichtet, man habe ihm erzählt, die im Viereck gelegten Steine des Pfennigkastens hatten früher noch mehr das Ansehen eines Altars gehabt, aber im siebenjährigen Kriege hätten Soldaten in der Hoffnung, große Schätze zu finden, alles umgewühlt. Nach: Die Greifswalder Sammlungen vaterländischer Alterthümer. Greifswald S.869. wurde die Steinkiste aber erst im Jahre l824 geöffnet. - Im übrigen vgl. Virchow in der Zeitschrift für Ethnologie 1886 S.625 und im Archiv für Anthropologie Vlll 5.284

7. Historische Grundlagen - der Herthadienst auf Rügen

Die Sage von der Hertha auf Rügen ist keine ursprüngliche, sondern hat sich erst in verhältnismäßig neuer Zeit dort eingebürgert. Kanzow, der sonst eine genaue Bekanntschaft mit den Verhältnissen der Insel zeigt, weiß nichts von der Hertha. Paul Lemke, ein geborener Rügianer, welcher im Jahre 1597 seine laudes Rugiae herausgab, berichtet mit keinem Worte von der Hertha. Eilhard Lubinus, welcher im Anfang des XVII. Jahrhunderts ganz Pommern zum Zweck der Landesaufnahme und Erstellung der großen Karte von Pommern bereiste, kennt die Hertha noch nicht, obwohl er den Borgwall bei Stubbenkammer (die heutige Herthaburg) anführt. Der erste, welcher die Hertha auf Rügen lokalisiert, ist Philipp Klüver (in seinem Werke: Germania antiqua, Leyden 1616 P. III S.107). Die Geschichte von der Hertha beruht bekanntlich auf einer verderbten Stelle des Tacitus (Germania cp. 40), welche von Nerthus d.i. der Mutter Erde berichtet, sie werde in insula oceani in einem castum verehrt und bade nach ihrem Umzuge durch das Land in einem secretus lacus. Diese Lokalitäten glaubte Klüver in dem bei Stubbenkammer gelegenen wendischen "Borgwall" und dem unmittelbar daranstoßenden Borgsee oder "Schwarzen See" entdeckt zu haben und verlegte die Hertha nach Rügen.

Der Meinung Klüvers folgten dann Mikrälius und andere, und so hat sich diese Anschauung in immer weitere Kreise verbreitet. Heute ist die Sage von der Hertha auf Rügen vollständig populär. Der im Anfang des 19. Jahrhunderts beginnende Zuzug von Fremden nach der Insel hat gewiß nicht wenig zur Befestigung der Sage beigetragen. Vgl. A.Maas: Rügensche Skizzen. Greifswald 1898, S.8l-90.

Für den modernen Charakter der Sage spricht vor allem auch der Umstand. daß die Namen "Herthaburg" und "Herthasee" für die älteren Namen "Borgwall" und "Borgsee" erst seit ca. 90 Jahren aufgekommen sind. Grümbke kennt in seinen "Streifzügen durch das Rügenland" (1805) zwar schon den Namen ÆHerthaburg" neben dem gewöhnlichen "Borgwall", für den See jedoch nur die Bezeichnung "Borgsee", auch "Schwarzer See". Jetzt aber sind die alten Namen gänzlich verschwunden.

Die vorstehende Auseinandersetzung stützt sich auf Barthold: Geschichte von Rügen und Pommern, S. 109 ff. Als eine Merkwürdigkeit ist noch anzuführen, daß die Herthasage und insbesondere der Name ÆHerthasee" auch außerhalb der Insel Rügen mehrfach anzutreffen ist. Über die am Jordansee auf der Insel Wollin lokalisierte Hertha vgl. Blatter Vkde. II S. 147 ff. - Ein Herthasee wird auch in Knoops Volkssagen aus dem östlichen Hinterpommern (S.10) genannt, vgl. Blätter f. Ur Pom. Vkde. III S.39. Außerhalb der Provinz Pommern ist mir die Hertha begegnet in Schells Bergischen Sagen, ferner bei J. Köhler: Volksbrauch im Voigtlande, an letzterer Stelle unter dem Namen "Herda".

8. Die Jungfrau am Waschstein

I.

Am Fuße des Königsstuhls liegt ein gewaltiger Felsblock. der Waschstein genannt. Auf diesem Steine erscheint alle sieben Jahre, etwa um Johannis herum, bei Tagesanbruch eine junge zarte verwünschte Prinzessin und wäscht Kleider und Leinewand in dem Meere. Wer so glücklich ist, sie anzutreffen und "Guten Tag, Gott helfe!" zu ihr sagt, der hat die Jungfrau erlöst, und aus Dankbarkeit führt sie ihren Befreier zu den in einer Höhle der Uferschlucht verborgenen Schätzen.

R. Schneider: Der Reisegesellschafter durch Rügen S.91

II.

Vor vielen Jahren sah einmal ein Fischer, wie eine schöne Jungfrau unten am Waschstein stand und ein blutiges Tuch ins Meer tauchte, um die Blutflecken daraus zu entfernen; aber ihre Mühe war vergeblich. Da faßte er sich ein Herz und ruderte näher zu ihr hin und redete sie an mit den Worten: "Gott helf, schöne Jungfrau ! Was machst du so spät hier noch allein ?" Die Jungfrau verschwand darauf, aber der Fischer war wie von einer Zauberei befangen, so daß er nicht von der Stelle konnte.

Wie nun Mitternacht kam. sah er die Jungfrau wieder; sie trat zwischen den Kreidefelsen hervor auf ihn zu und sprach zu ihm: "Weil du Gott helf zu mir gesprochen. so ist dein Glück gemacht; folge mir nach," Damit kehrte sie zwischen die Felsen zurück. und er folgte ihr in eine große weite Höhle, die er vorher noch nie gesehen hatte. Darin lagen unermeßliche Haufen von Silber, Gold, Edelsteinen und Kostbarkeiten aller Art.

Als der Fischer die noch überschaute, hörte er auf einmal auf der See Ruderschlag, und als er sich danach umblickte, sah er ein großes schwarzes Schiff nahen. Aus demselben stiegen an die tausend Männer, alle in dunkler, alter Tracht und alle das Haupt unter dem Arme tragend. Die schritten still und ohne ein Wort zu sprechen in die Höhle hinein und fingen an, in den aufgespeicherten Schätzen zu wühlen und sie zu zählen. Das waren die Geister des geköpften Störtebecker und seiner Genossen; sie kommen jede Nacht so dahin und zählen ihren Raub. ob er noch vorhanden ist.

Nachdem sie lange Zeit in dem Golde herumgewühlt hatten. verschwanden sie alle wieder. und nun füllte die Jungfrau dem Fischer einen Krug mit Gold und Edelsteinen, daß er zeitlebens der Reichtümer genug hatte. Darauf geleitete sie ihn zu seinem Schiffe zurück, und als er sich wieder nach ihr umsah, war sie mitsamt der Höhle verschwunden.

Temme, Nr. 211

Den Dichter Adalbert von Chamisso regte diese Sage zu folgendem Gedicht an:

Die Jungfrau von Stubbenkammer

Ich trank in vollen Zügen

Das Leben und den Tod 

Beim Königsstuhl auf Rügen

Am Strand im Morgenrot.

Ich kam am frühen Tage

Nachsinned einsam her

Und lauschte dem Wellenschlage

Und schaute übers Meer

Wie schweifend aus der Weite

Mein Blick sich wieder neigt

Da hat sich mir zur Seite

Ein Feenweib gezeigt

An Schönheit sondergleichen

Wie nimmer Augen sahn

Mit goldner Kron und reichen

Gewändern angetan

Sie kniet auf Felsensteinen

Umbrandet von der Flut,

Und wusch mit vielem Weinen

Ein Tuch, befleckt mit Blut.

Umsonst war ihr Beginnen,

Sie wusch und wusch mit Fleiß,

Der böse Fleck im Linnen,

erschien doch nimmer weiß.

Da sah sie unter Tränen,

Mich an und bittend fast,

Da hat ein heißes Sehnen

Mich namenlos erfaßt.

"Gegrüßt sei mir, du blendend,

Du wundersames Bild!"

Sie aber, ab sich wendend,

sprach schluchzend, aber mild:

Ich weine trüb und trüber,

Die Augen  mir und blind,

Gar viele ziehn vorüber,

und nicht ein Sonntagskind.

Nach langem bangen Hoffen,

Erreichst auch Du den Ort,

Oh, hättest Du getroffen

zum Gruß das rechte Wort !

"Hättst Du 'Gott helf!' gesprochen,

ich wär erlöst und Dein,

Die Hoffnung ist gebrochen,

Es muß geschieden sein !"

Da stand sie auf zu gehen,

Das Tuch in ihrer Hand,

Und wo die Pfeiler stehen,

Versank sie und verschwand.

Sie trank in vollen Zügen

Das Leben und den Tod 

Beim Königsstuhl auf Rügen

Am Strand im Morgenrot.


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 18.07.1998

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