Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.3                                                   März 1993


Wanderwege im Nationalpark (II)

Regelmäßig will Ihnen der Verein künftig Wanderwege in unserem Nationalpark vorstellen. Diese Zielstellung wurde in der Mitgliederversammlung am 08. Dezember 1992 von den dort anwesenden Mitgliedern begrüßt. Heute stellen wir Ihnen eine Beschreibung der Stubbenkammer vor. Diese Beschreibung ist wieder ein Auszug aus "Griebens Reiseführer Band 66: Rügen" Ausgabe 1920-1921.

Stubbenkammer (Königsstuhl und Herthasee)

Entfernungen: Jagdschloß 28 Km. Putbus 36 Km. Saßnitz 9 km (zu Fuß 2-3 Stunden), Sagard 10 Km, Bergen 28 Km. Lohme 4 Km (1 1/2 St.).

Stubbenkammer (slaw. = Stufen zum Meere) ist der Name der höchst gelegenen und zugleich schönsten Felspartie auf Rügen, deren Hauptteil der Königsstuhl genannt wird. Stubbenkammer ladet, namentlich bei heißer Witterung, mehr als ein anderer Punkt der Insel zu längerem verweilen ein; auch der verwöhnte Tourist wird sich hier behaglich fühlen. Jeder, der einen Ruhetag auf seiner Reise machen will, wird dies am lohnendsten auf Stubbenkammer tun, da die Stubnitz eine Menge herrlicher, schattiger Waldpromenaden bietet, die man bei eiligem Wandern nach dem Königsstuhl und Herthasee nur gar zu flüchtig kennen lernt. Zum Sonnenaufgang (Königsstuhl) wird im Hotel durch Klopfen an die Türen geweckt. Abends, nach eingetretener Dunkelheit, wird beim Königsstuhl ein Reisighaufen angezündet (es wird im Hotel rechtzeitig das Zeichen durch eine Glocke gegeben) und das brennende Reisig dann vom steilen Kreidefelsen hinabgestürzt, ein hübscher überraschender Anblick.

Der Königsstuhl, der Sage nach so genannt, weil Karl XII. von hier aus ein Seegefecht zwischen Dänen und Schweden beobachtet haben soll, ist ein 119 m hoher, schroff aus dem Meer aufsteigender, zerklüfteter Kreidefels, dessen Zinne ein hölzernes Geländer

umgibt. Die Aussicht von hier hat durch vielfache Beschreibung Weltruf erlangt. Im Nordwesten erblickt man Arkona. (Man werfe keine Steine hinab, da man leicht dadurch Menschen verletzen könnte.)

Bei hellem Mondenschein wie bei der elektrischen Beleuchtung durch Scheinwerfer vom Dampfer aus machen die Kreidefelsen einen großartigen Eindruck.

Ein Fußweg führt rechts vom Gipfel zum Strande; unten kann man dem Strande nach links folgen und dann durch die Teufelsschlucht zum Hotel Stubbenkammer wieder hinaufsteigen. Dicht am Strande liegt der große sog. Waschstein, nahe den mächtigen Kreidefelsen, zwischen welchen zuweilen ein tollkühner Reisender zum Königsstuhl hinaufgeklommen ist. Der Strand gewährt hier dem Sammler reiche Ausbeute von verschiedenen Steinen und Versteinerungen, die teils aus den abgerissenen Kreidestücken, teils aus der Tiefe der See herangespült werden.

Von der Höhle zwischen den Pfeilern erzählt die Sage folgendes : Vor Zeiten trieb ein arger Seeräuber, Claus Störtebecker genannt, mit einer großen Räuberbande sein Unwesen auf der Insel. Hier in der Höhle am Waschstein hatte er eine Niederlage, in welcher er die geraubten Schätze verbarg, und wo er ausruhte von den Anstrengungen seiner Fahrten, verborgen vor aller Welt, da niemand die Hohle kannte. Einstmals hatte er eine edle Jungfrau aus Riga geraubt, als sie gerade ihrem Bräutigam angetraut werden sollte; diese brachte er dann auch in seine Höhle, und als er wieder zu neuem Raube in See ging, schloß er sie darin samt allen Schätzen ein. Auf diesem Zuge wurde er aber mit allen seinen Spießgesellen gefangen und in Hamburg hingerichtet. Die unglückliche Jungfrau aber mußte in der Höhle eines jämmerlichen Todes sterben und ihr Geist hat noch jetzt bei den Schätzen, die er bewacht, keine Ruhe. Sehr häufig um Mitternacht sieht man eine schöne Jungfrau aus der Höhle hervortreten und auf den großen Waschstein schreiten, wo sie sich bemüht, ein Tuch in der See reinzuwaschen. Nachdem sie hier eine Weile gewaschen, geht die schöne, bleiche Jungfrau wieder in die Höhle zurück, und wer ihr auf diesem Wege entgegentritt und ihr zuruft: "Gott helf dir", dessen Glück ist gemacht, denn die Jungfrau wird ihm all die unermeßlichen Schätze schenken. Und sie selbst wird zur ewigen Ruhe eingehen. Die Sage ist dichterisch behandelt, z.B. in dem Störtebeckerlied und von Chamisso.

Zur Herthaburg geht man vom Gasthofe den Fahrweg nach Saßnitz (mittlerer Weg, durch weiße Baummarken gekennzeichnet). Diesen folgend kommt man an einen freien Platz, auf dem eine riesige Buche, die Herthabuche, ihre Zweige nach allen Seiten hin bis fast zur Erde ausbreitet. Von hier aus ist man nach wenigen schritten am Herthasee. Einige hier unter Erlen und Buchen aufgestellte Bänke bieten den besten Blick über den tiefschwarzen See und seine schöne, waldige Umkranzung. Der Herthasee ist 170 m lang, 140 m breit und hat in der Mitte eine Tiefe von etwa 15 m, seine schwarze Färbung erhält er hauptsächlich durch den moorigen Grund, aber auch durch die düstere Umgebung. Der See liegt am Fuße der sog. Herthaburg, eines etwa 120 m langen Walles, von dessen höchstem Punkt (136 m) man eine sehr schöne Aussicht über den See und die bewaldete Tiefe hat. Der Sage nach, die erst im 16. und 17. Jahrh. nach Rügen gebracht wurde, hat hier ein Tempel gestanden, der Hain war der Göttin Hertha geweiht.

Tacitus erzählt über den Dienst der Hertha (eigentlich Nerthus ) folgendes:

Alljährlich kam die Göttin einige Male zu dem heiligen See, um darin zu baden. Sie fuhr in einem Wagen dahin, der mit einem dichten Schleier bedeckt war und von schneeweißen Kühen gezogen wurde. Nur ihr geweihter Priester begleitete die Göttin; die Sklaven aber, welche die Kühe geleitet hatten, wurden jedesmal im See ertränkt, denn sterben mußte, wer mit ungeweihten Augen die Göttin geschaut hatte.

Noch jetzt - erzählt man - ist es nicht ganz geheuer am Herthasee, denn in mondhellen Nachten sieht man oft eine wunderschöne, schlanke Frau aus dem Walde kommen und nach dem See gehen, um darin zu baden. Zahlreiche Dienerinnen begleiten sie, und nach kurzer Zeit hört man sie alle im See plätschern. In wallende weiße Schleier gehüllt, kehren sie bald wieder zum Walde zurück. Für den Wanderer aber ist es sehr gefährlich, dies mit anzusehen; es zieht ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zum See, und wer das Wasser berührt, ist verloren. Das Wasser verschlingt ihn, und nie mehr ist eine Spur von dem Unglücklichen aufzufinden.

Gegenüber der Herthabuche, rechts, wenn man von Stubbenkammer kommt, fuhrt ein Weg in den Wald, nach 1 Min. auf diesem geht man nach rechts ab und findet nun nach 30 Schritten zwei Steine, nach einer weiteren Minute ist man wieder auf dem Hauptwege. Oder man geht, von Stubbenkammer kommend, kurz vor der Herthabuche beim Wegweiser, der den Weg als Privatweg bezeichnet, rechts ab und trifft diese Steine nach 1 Minute. Nach 30 Schritten geht man links und befindet sich nach 1 Minute wieder auf der Hauptstraße. Der größere der beiden Steine soll ein Opferstein gewesen sein, auf dem der Göttin Menschenopfer dargebracht wurden. In dem ausgehöhlten kleinen Stein dicht daneben floß das Blut des unglücklichen Opfers. Einige Schritte davon ist ein anderer Stein, in dem sich der Abdruck eines großen und eines kleinen Fußes befindet. Die Sage erklärt diese Erscheinung also:

Als noch der Hertha-Dienst auf der Insel bestand, war unter den Priesterinnen eine die sich besonders durch Jugend und Schönheit auszeichnete. Diese hatte heimlich ein Liebesbündnis mit einem fremden jungen Ritter, der sie allnächtlich im Walde erwarte. Der Hohepriester der Göttin hatte aber Kunde erhalten, daß eine der Jungfrauen ihn hintergehe, und als keine die Schuld bekennen wollte, führte er sie alle hinaus an den Stein und ließ eine nach der anderen mit entblößten Füßen darüber schreiten. Als nun die Schuldige den Stein betrat, blieb zum Entsetzen aller die Spur ihres eigenen und eines kleinen Kinderfußes darauf zurück. Jetzt war ihre Schuld offenbar und der Priester stürzte die junge Sünderin von der Höhe der Stubbenkammer ins Heer; aber die mitfühlende Göttin ließ sie sanft herniedergleiten in die Arme ihres Geliebten, der dort mit einem Schiffe ihrer harrte.


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 05.08.1998

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