Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.11                                                   August 1997


Klassische Reisebeschreibungen (I)

An dieser Stelle beginnen wir mit einer neuen Folge von Beiträgen, die die Beschreibung klassisch gewordener Reisen durch das Gebiet von Jasmund zum Inhalt haben. Wie die vorhergehende Folge "Sagen des Nationalparkgebietes" erscheinen die Reisebilder auf den Mittelseiten und sind separat numeriert, so daß sie herausgenommen und zusammengestellt werden können.

Wir beginnen mit einen Auszug aus dem 1805 erschienenen Buch "Streifzüge durch das Rügenland" von Johann Jacob Grümbke. Der in Bergen auf Rügen geborene und lebende Schriftsteller tritt hier in der Maske des Besuchers auf, verarbeitet aber in seinen mit einer Reihe von wirtschaftlichen Daten gespickten Berichten seine fundierte Ortkenntnis und stellt sich oberflächlicheren, stärker durch den romantischen Zeitgeist geprägten Reisebeschreibungen der ersten "Rügentouristen" entgegen.

Auszug aus: Johann Jacob Grümbke, "Streifzüge durch das Rügenland" (1)

...Der folgende Tag war der Stubnitz und Stubbenkammer gewidmet. Am Abend zuvor hatte ich mit einigen Freunden Abrede genommen, die Fahrt nach dem Vorgebirge zu Wasser zu machen - unstreitig die interessanteste Art, diese Gegend zu bereisen -, und so wanderten wir am frühen Morgen aus Sagard auf Sassenitz zu, nahmen aber einen Abweg, um ein Hünengrab zu besichtigen, das, wie man uns gesagt hatte, in dieser Gegend liegen und das größte auf Jasmund sein sollte. Der Weg führte über den Mühlenberg und einige andere Anhöhen durch die Dörfer Schlone und Krahn , und ein nebliger Morgentau, der alle Umsicht vereitelte, lag über den Fluren.

Hinter dem letztgenannten Dorf kündigte sich das Hünengrab schon in einiger Entfernung durch mächtige Steine an. Es liegt in einer einsamen Ebene zur Rechten des Weges an der Grenze eines Waldes, erstreckt sich nicht ganz genau von Osten nach Westen und hat im allgemeinen viel Ähnlichkeit mit dem oben beschriebenen in der Strüssendorfer Heide. Zwar ist es nicht so lang wie jenes, denn es beträgt nur 36 Schritte, aber die schwarzgrauen Steine, mit denen es umsetzt ist, sind bei weitem größer, und unter allen am imposantesten ist der Eckstein am Westende des Grabes, der auf der hohen Kante, wie man hier sagt, aufgerichtet ist und dessen Länge mehr als vier Ellen beträgt. Auch eine beträchtlichere Breite hat es, denn von diesem Eckstein bis zu dem gegenüberliegendem zählte ich 12 Schritte. Sonst ist das Grab gegen die Mitte auch muldenförmig erhöht und mit Wacholder dicht überwachsen. Die Steineinfassung hat sich an der Südseite am besten erhalten. Ein kleiner, glockenförmiger Grabhügel ragt etwa 200 Schritte davon noch näher am Wald hervor.

Der Weg führte durch diese Waldung, welche sich rechts bis an das hohe Ufer der Ostsee erstreckt und zu dem benachbarten Gut Lanken gehört. Sie führt den Namen Dwohrside (die Querseite) und enthält weit stattlichere Buchen und Eichen, als ich nachher in der Stubnitz gewahrte. Auch durch seine erfrischenden Schatten ergötzte uns dieser Wald, und eine Stelle in demselben hatte so viel poetisch reizendes, daß ich das Andenken an sie ewig feiern werde. Zur Seite des Weges ergoß sich in dunkler Tiefe ein von dem Gewebe der Buchenäste überschatteter Murmelbach über glatte Kiesel und bildete, zwischen überliegenden Baumstämmen sich durchdrängend, einen Wasserfall nach dem andern, bis er mit starkem Geräusch zum Strand hinabstürzte. Er führt den Namen des Tribber Baches. Ob aber die Najade, die ihn aus ihrer Urne gießt, auch in diesem Hain wohnt, weiß ich nicht. An seinem Rand liegen verschiedenen Steine. Unter anderen bewunderten wir einen von ungeheurer Größe, der die Form eines Backofens hatte und mit frischem Moos überzogen war. Seine Höhe mochte wohl sechs bis acht Ellen betragen.

Wir kamen durch das Dorf Krampaz , welches nicht weit vom Strand entlegen ist und zum Domanium gehört. Der Nebel war den Pfeilen der Sonne gewichen, die auch uns schier zu Boden zu strecken drohten. Die Luft aber behielt eine so starke Duftigkeit, daß die Landschaft davon einen grauen Ton annahm. Gleichwohl umspannte der Blick hier einen ungeheuren Raum, indem man zur Rechten den ganzen Prorer Meerbusen, um welchen sich die Schmale Heide wie ein weißes Strophium legt, bis an den Granitzer Ort übersieht. Zur Linken kräust sich die Stubnitzer Bergwaldung, wovon hier ein Teil der Lenzbusch heißt, und aus den grünen Gipfeln dampfte ein blauer Rauch von den Kohlen empor, die von den Dorfbewohnern gebrannt und im Lande abgesetzt werden. Auch verkaufen die Krampazer Bauern Fadenholz aus dem Buchenwald, den sie gepachtet haben.

Links vom Weg abbiegend, näherten wir uns der Waldung und sahen bald durch das Grün der Bäume eine Menschenwohnung schimmern. Es war die Sassenitzer Kalkbrennerei. Sie ist königlich und liegt zur Linken hart an einem Gebirge, wo die Kreide in einer Höhe von 60-80 Ellen zutage liegt, und dieser von der Sonne stark beleuchtete Streif stach gegen das Blättergrün so lebhaft ab, daß es das Auge kaum ertragen konnte. Von dieser Masse nimmt der Brenner seine Materialien, und überhaupt besteht das Fundament des ganzen Gebirgslagers aus Kreide, die zuweilen in Lehm übergeht. Der Kalkofen ist dicht neben dem Haus befindlich, und zweimal im Jahr wird gebrannt.

Die der Kalkbrennerei gegenüberliegende Nordseite zieht sich steil hinan und ist dicht mit Buchen bewachsen Eigentlich befindet man sich hier in einer Kluft, die weit in die Stubnitz einschneidet. Der tiefste Grund zwischen beiden Berglehnen dient dem Steinbach zum Bett, der aus der Waldung von Westen her herabstürzt und unter Haseln und Erlengebüsch fortrauschend nach Sassenitz eilt, wo er, nachdem seine letzte Kraft die dortige Kornmühle in Bewegung gesetzt hat, in den Strand ausfließt.

Das Dorf Sassenitz ist nur einige hundert Schritte von der Kalbrennerei entfernt und liegt gegen Osten am Meer, oder eigentlich zieht es sich hinein in die obengedachte große Liete . Die Hütten liegen romantisch an beiden Seiten des Baches unter Baumschirmen. Der Strand ist mit mächtigen Steinen eingefaßt, und rechts in der Ferne ragen die hohen Ufer des Mönchguter Peerdes aus dem Meer hervor. Die Bewohner des Dorfes sind größtenteils Fischer, und 16 von ihnen halten gemeinschaftlich vier Boote, auf jedes Boot vier Mann gerechnet. Sie fangen hauptsächlich Lachs, Dorsch und Heringe, die sie auch wohl einsalzen und auf Jasmund oder Rügen verkaufen. Der Lachs wird bisweilen auf großen Angeln gefangen, die sie in der See auswerfen.

Wir gingen zum Schulzen des Dorfes und trugen ihm unseren Wunsch vor, ein Boot zu erhalten, das uns nach Stubbenkammer bringen könnte. Der Mann war gleich bereitwillig, uns zu dienen, und während Anstalten gemacht wurden, das Fahrzeug, wofür ein Reichstaler bedungen war, ins Wasser zu schieben, nahmen wir bei ihm ein Frühstück von Spickheringen ein und bestiegen dann das Boot, das von vier tüchtigen Ruderern regiert ward.

Gleich hinter Sassenitz beginnt das Ufer kreidig zu werden und nimmt die wunderbarsten Gestalten an, je weiter man kommt. Die Kreidewände streben senkrecht empor aus einer schrägen, bald nackten, bald mit Gehölz bedeckten Lehne und werden, hier steigend, dort fallend, von schmalen Einschnitten und tiefen Klüften unterbrochen, welche gelben, mit Erdstreifen vermischten Ton enthalten. Der obere Rand ist mit stolzen Buchen eingefaßt, und die Schichtenrichtung des ganzen aufgeflözten Gebirgslagers läuft fast überall horizontal. Das Bergufer ist auf das mannigfaltigste gezackt, geborsten und durchrissen, und die Imagination hat ein freies Spiel, sich diese Wundergestalten als Obelisken, Säulen, Tempel, Ruinen und Festungsbasteien vorzustellen.

Den mächtigsten dieser Flözrücken und Vorsprünge haben die Fischer eigene Nahmen gegeben. So heißt der erste hinter Sassenitz der Hengst, dann folgt der Bläß , der Sattel, die Tribbe , die Collichow usw. Dieser letztgenannte hat eine höchst kühne Lage, denn die Masse springt nicht aus einem Vorufer heraus, sondern ruht wie ein ungeheurer behauener Block unmittelbar auf dem Steinlager des Strandes. Nebenher rieselte das Bächlein Collichow durch Gebüsch zum Meer hinab, und hoch in den Lüften schwebte ein Adler über den blendenden Klumpen. Man erzählte uns, daß einmal ein oben in der Stubnitz gejagter Hirsch durch einen Sprung von dieser Collichow den Jägern zu entkommen gesucht habe, und wir waren einig, daß diese Stelle auch der verzweifelnden Liebe zu einem "Salto mortale" zu empfehlen sei.

Was das Interesse der ganzen Fahrt erhöht und den Blick immer gespannt hält, ist, das man die Uferpartien nicht mit einem Mal, sondern nur nach und nach zu Gesicht bekommt, sowie man um eine vortretende Ecke, welche die Fischer eine Huck nennen, gefahren ist. Es gibt mehrere solcher Hucken an dem von Sassenitz bis Stubbenkammer sanft gekrümmten Ufer, dessen Länge eine gute Meile beträgt.

Die Hauptunterhaltung im Boot betraf Stubbenkammer, und bald kam die Rede auch auf die beiden berüchtigten Seeräuber Clas Störtebeck und Michel Gädike , von denen unsere gesprächigen Fischer mancherlei Sagen erzählten. Gädike soll ein untertäniger Knecht des Gutes Ruschvitz auf Jasmund und Störtebeck aus der Gegend von Barth in Pommern gebürtig gewesen sein. Beide waren entlaufen und hatten sich zu Oberbefehlshabern eines mächtigen Räuberbundes emporgeschwungen, welche unter dem Namen der Vitalienbrüder und Lynkendeeler im 14. Jahrhundert das Meer unsicher machte. Diese Flibustiers der Ostsee sollen in der Kluft zu Stubbenkammer, von der ich bald reden werde, eine Schatzkammer ihres Raubes gehabt haben. Sie wurden aber von den verbündeten Städten verfolgt und zerstreut, Störtebeck und Gädike bei Helgoland gefangen und 1402 auf dem Grasbrock bei Hamburg enthauptet. Unsere Fährleute stimmten ein altes auf diese Begebenheit verfertigtes Volkslied an, wovon ich nur den Anfang behalten habe, welcher so lautete:

Störtebeck und Gädke Micheel,

Die raubten beide zu Lyken Deel

Zu Wasser und zu Lande;

Eine stolze Kuh aus Flandern kam,

Mit ihren eisernen Höhren,

Sausend und brausend wohl durch das wilde Meer,

Das G’lag wollt sie zerstören usw.

Von des Meeres Wildheit machten auch wir eine kleine Erfahrung, denn obgleich die Luft still und drückend schwül war, wurde das Wasser doch unruhig, und da wir höchstens hundert Faden weit vom Ufer ruderten, hatte die Brandung schon eine solche Gewalt über das Boot, daß es unaufhörlich schwankte und einer meiner Gefährten ordentlich einen Anfall von der Seekrankheit bekam. Endlich erreichten wir das Ziel unseres Strebens, stiegen ermattet aus und ruhten eine Weile auf einem breiten Steinstück.

Durch die Herfahrt schon auf die Stubbenkammer vorbereitet, wurden wir von ihrem Anblick im ersten Moment nicht so getroffen, als wenn sie auf einer Ebene plötzlich vor uns hingezaubert wäre. Aber wir mußten uns erst erholen, um die Schönheiten dieses Brillanten im Inselring aufzufassen und zu würdigen. Die Partien zwischen Sassenitz und Stubbenkammer haben zwar auch viel Stolzes und Erhabenes, aber hier, wo das Ende ihrer gigantischen Schöpfungen ist, hat die Natur alle ihre Kraft vereinigt, um die kühnsten und erstaunenswürdigsten Gebäude aufzuführen. Sie hat hier Massen aus der Erde hervorgehoben und in das Ufer Klüfte gesprengt, die Schauder erregen würden, wenn sie nicht das Grausende dadurch gemildert hätte, daß sie es zugleich mit frischen Laubdecken drapierte und mit lieblichen Girlanden umwand.

Den Blick gegen das Ufer gerichtet und die Nordwestseite nach Wittow hin als die rechte, die südöstliche aber gen Sassenitz als die linke bezeichnend, will ich dir die Küste zuerst von unten beschreiben und zu dem Ende die ganze Ansicht in sechs Abschnitte einteilen: 1. Klein-Stubbenkammer, 2. die tiefe Schlucht mit dem Fußsteig, 3. der Königsstuhl, 4. die vermeintliche Störtebecks Schlucht mit den Pfeilern, die dann folgende zerklüftete Wand, 6. das abschüssige Waldufer.

Zuerst heben sich die senkrecht abgeschnittenen, am oberen Rand vielfältig zerspaltenen Wände der Kleinen Stubbenkammer, welche durch eine tiefe Kluft isoliert zur Linken liegt und deren Ende am sehenswürdigsten ist. Hier, wo eine Strecke lang die Kreide in Lehm übergeht, stehen neben- und übereinander sechs bis sieben aufgetürmte Zacken von pyramidalischer, aber höchst unregelmäßiger Gestalt. Sturzdrohend und grausenerregend stehen sie da, wie Trümmer einer anderen Welt, und sichtbar hat an ihnen die Zeit ihre Gewalt erprobt, denn so gekerbt, abgebröckelt und nach tausend Richtungen zerschnitten ist die angrenzende Wand nicht, mit der sie offenbar ehemals verbunden gewesen sind. Auch ist die Kreide sehr unrein.

Zwischen Klein-Stubbenkammer und dem folgenden Vorsprung senkt sich eine sehr ansehnliche (eigentlich wohl die größte) Vertiefung in das Ufer, und in dieser Liete, die von oben bis unten dicht in Bäumen verhüllt liegt, ist der Aufgang zur Höhe.

Dann folgt in der Mitte eine ungeheure Kreidemasse, die einer oben abgestumpften Pyramide gleicht und am meisten imponiert. Sie wird der Königsstuhl benannt, und einen glücklicheren Namen konnte man der stolzen Pyramide nicht geben, denn sie ist ein wahrhaftig königlicher Sitz. Dieser Königsstuhl tritt vor den anderen Wänden etwas hinaus, wie man dies am besten von Klein Stubbenkammer zu wahrnimmt, hat links nach der großen Kluft hin zwei Absätze, und vorn in der Mitte steht eine Zacke hervor, welche pyramidalisch an der Wand hinabläuft.

Die Farbe des Königsstuhls sowie der übrigen Wände ist schmutzigweiß, ins Gelbliche fallend und grau verschattet, die Masse selbst höckerig, unendlich zerschlitzt und geborsten, aber tausend dieser Einschnitte sind so zart, daß das Auge sie wenig bemerkt. Auch mildert schon das Blendende der Farbe die Rauheit der Oberfläche.

An der rechten Seite des Königsstuhls ist wieder eine Nische oder Kluft gebildet, welche durch eine vorgezogene Mauer eingeschlossen wird, die die allmächtige Hand der Natur mitten durch von oben bis zur Basis gesprengt und zu einem gigantischen Portal gebildet hat. Es sind eigentlich zwei unförmige Zacken oder zwei zugespitzte Pfeiler, die gleich zwei Riesen den Eingang zur Kluft zu beschützen scheinen, aber weder so groß noch so abenteuerlich geformt sind wie die vorher beschriebenen auf Klein Stubbenkammer . Sie starren ebenfalls senkrecht empor, sind überall zersplittert und mit Feuersteinen punktiert und bandiert, stehen mehr als einen Klafter weit auseinander, und von diesem Tor an ist in der schrägen Vordachung ein tiefes Regenbett ausgehöhlt. Herr Rellstab nennt diese Kluft geradezu eine Höhle, weil eben sie es ist, worin der Sage nach die gedachten Freibeuter Störtebeck und Gädike ihren Raub verborgen haben. Vielleicht hat er von Schwartzens Erzählung gehört, welcher schreibt, man habe ein Histörchen, daß in der Kluft eine Höhle oder ein Gewölbe befindlich gewesen sei, worin man ehemals einen Missetäter an einem Strick herabgelassen, welcher Wunderdinge ausgesagt habe. Eine solche Raubniederlage setzt aber einen zur Landung bequemen Platz voraus, wozu sich dieser wegen vieler unter dem Wasser verborgener und weit fortlaufender Steinriffe schlecht schickt.

Fortsetzung im nächsten Heft


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Letzte Änderung: 17.07.1998

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