Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.13                                                   August 1998


Klassische Reisebeschreibungen (III)

Auszug aus: Johann Jacob Grümbke, "Streifzüge durch das Rügenland" (3)

Fortsetzung aus Heft Nr. 12 - Schluß

...Unter den von der Stubbenkammer bisher erschienenen, mir wenigstens bekannt gewordenen Kupferstichen ist nach meinem Bedünken kein einziger richtig, wie auch ein jeder finden wird, der dieselben unmittelbar gegen die Natur hält. Das Rellstabsche Titelkupfer ist eine schlechte Kopie nach der schlechten Darstellung eines Herrn Kleidke, der im Jahr 1794 oder 1795 vier bis 6 ungetreue, ziemlich grob gestochene Ansichten rügianischer Landschaften herausgab. Auch der in Zöllners Reisebeschreibung befindliche Stich (übrigens eine richtige Kopie eines Hackertschen Ölgemäldes) sagt der Gegend nur im allgemeinen zu, gleich dem zu Wieck in dem Haus des Herrn Präpositus Schwarz befindlichen Original.

Bei Herrn Konsistorialrat Kosegarten sah ich drei Zeichnungen der Stubbenkammer von den Herren Schwarz, Friedrich und Riesenberg, unter denen die des ersten die getroffenste, des zweiten die prächtigste und ausgeführteste und des dritten die unähnlichste war. Ich liefere Dir, mein Bester, hier eine Zeichnung, die unten, den Pfeilern gerade gegenüber, entworfen wurde und wenigstens durchaus treu ist.

Nicht ohne eine gewisse Unbehaglichkeit und Ermattung, die auf einen reizenden Genuß öfter zu folgen pflegt, verließ ich das Vorgebirge und wandelte schweigend mit meinen Begleitern durch die Waldung. Aber uns war noch ein neuer Genuß vorbehalten, welcher unsere niedergeschlagenen Geister wieder ausspannte. Kaum eine Viertelstunde von Stubbenkammer, mitten in der Stubnitz, seitwärts zur Linken am Wege, den wir kamen, liegt, umhüllt von der grünen Nacht der Buchen, eine höchst merkwürdige Reliquie der Vorzeit, ein alter Wall, welcher gewöhnlich der Borgwall, auch zuweilen die Herthaburg genannt wird. Das ewige Dunkel, das tiefe Schweigen, das hier herrscht, erregt melancholische Empfindungen. Der Wanderer wird bei Betrachtung dieser Ruine, welche ernst und düster, Furcht einflößend und Ehrerbietung fordernd in dem Dickicht des Waldes versteckt wird, hineingerissen in den Abgrund der Vergangenheit.

Man geht eine sanfte Anhöhe hinan und entdeckt zuerst etwas links vom Weg auf einer leichten Erhebung zwei offene Steingräber, die von verwelktem Buchenlaub fast ganz zugeschüttet sind. (Den Pfennigkasten, eine weit besser erhaltene und mit einem großen, platten Deckstein verschlossene Steinkiste, die mir vor 14 Jahren auch in dieser Gegend gezeigt ward, bemühten wir uns umsonst wieder aufzufinden.) Dann wird man zur Rechten gegen Westen in einem von der Bewaldung eingefaßten Tal einen von Bruchweiden und Erlengebüsch umkränzten See gewahr, der in ovaler Form sich von Osten nach Westen ausbreitet, über 200 Schritt im längsten Durchmesser enthält, an seinem Rand mit Schilf, Binsen, der Nymphaea lutea (plattdeutsch Mümmelken) und anderen Wasserpflanzen bewachsen und an 400 Fuß über die Meeresoberfläche erhoben ist.

Er führt den Namen des Burgsees (Borgsee) von dem Burgwall, der hart an ihn grenzt. Auch wird er der Schwarze See genannt, weil er längs dem Wall mit Bäumen dicht eingefaßt ist, deren Äste und Zweige sich malerisch über ihn ausbreiten und durch deren Überschattung er ein dunkles Aussehen um so mehr erhält, wenn man ihn von der Höhe durch das Laub der Buchen, die hier zahlreich in schönem Wuchs stehen, schimmern sieht, nicht aber deswegen, weil sein Wasser, wie man wohl ehemals gefaselt hat, eine trübe, schwarze Farbe hat. Mir schien es im Gegenteil, so wie die Sonne seine Oberfläche vergoldete, so klar, daß ich versucht ward, es zu kosten, und ich fand es rein, aber ein wenig moorig. Er ist auch fischreich und soll unter anderem Hechte enthalten, die ein hohes Alter haben und auf dem Rücken mit Moos bewachsen sind, denn die Fischerei ist hier beschwerlich und daher selten, auch ward sie von den Anwohnern ehemals für gefährlich gehalten. Ein kleiner Nachen zwischen dem Gesträuch und verschiedene Reusen, die in dem Erlengebusch aufgehängt waren, bewiesen jedoch gegenwärtig, daß der Aberglaube von dem Spuk, den der Teufel ehemals auf diesem See mit dem Fischergerät getrieben haben soll, längst verschwunden ist.

In sichelförmiger Gestalt oder wie ein Henkel an einer Schale hebt sich ein hoher Erdwall an der Nordseite des Sees, an dessen Rand seine beiden Enden - das eine steil abgeschnitten, das andere in sanftem, etwas gekrümmtem Ablauf - sich unmittelbar anschließen und, durch ein ziemlich hohes, steiles, längs dem See hinlaufendes Ufer miteinander gewissermaßen verbunden, einen etwas eiförmigen Platz umzingeln, der mutmaßlich das Allerheiligste enthalten haben soll, jetzt aber mit Buchen dicht bewachsen ist und weiter nichts zeigt als ein paar alte bemooste Steine, die aus dem dürren, halb vermoderten Laub, das überall den Boden deckt, hervorragen.

Zu diesem Innern gelangt man durch einen einzigen an dem Nordostende des Sees befindlichen Eingang, der den Wallvon Südost gegen Nordwest durchbricht und zu welchem sich in sanfter Biegung ein Fußsteig hinanzieht. Diese Bresche führt auch hinauf zur Höhe des Walls vermittelst eingegrabener Stufen, eine Erleichterung, die der Steiger der Güte des Herrn Pastor Willich ebenfalls verdankt. Oben findet man einen bequemen Pfad zwischen den Buchen, womit auch die innere und äußere Böschung bewachsen sind. Unter diesen Bäumen bemerkte ich auch einige wilde Birnbäume, einen schlanken Ahorn und einen dickstämmigen Faulbaum (Rhamnus frangula), der sich kühn über das umstehende Gebüsch gelehnt hatte. Die höchste Höhe des Walls ist auf seiner Nordostecke, wo man über die Waldung hinaus durch das Meer und den Anblick von Arkona, das beinahe im Westen liegt, äußerst überrascht wird. Zugleich sieht man in schauerliche Gründe hinab, und die äußere Böschung beträgt bis zur Tiefe hier sicher an 60 bis 80 Ellen, an anderen Stellen 40 bis 50, da sie hingegen nach dem Innern zu nur 10 bis 20 Ellen enthalten mag.

Auf dem südostwärts gegen den See abhängigen Ende des Walls steigt man wieder auf Stufen hinab. Unten am Ufer führt durch das Gebüsch ein sehr angenehmer Fußsteig bis hinter den Wall, wo er sich im Wald verliert. Auf diesem Steig wird man mitten gegen den See einen Einschnitt im Ufer von Süden nach Norden gewahr, und dies soll die Stelle sein, wo der heilige Wagen hinabgestürzt worden ist. Der Pfad selbst beträgt bis zu des Walles Enden 164 Schritte. Rechnet man dazu die Länge des oberen Wallganges, der 386 Schritte mißt, so enthält der ganze Umkreis des Burgwalls 550 Schritte. Übrigens schließt der Wall nicht die ganze Nordseite des Sees ein, sondern seine Ostseite tritt über das Ende des Sees hinaus. Der westliche Rand des Sees hingegen liegt noch 60 bis 80 Schritte vom Westende des Sees entfernt im Tal, das an dieser Stelle eine schlechte Weide enthält. Am entlegensten vom Wasser ist die Nordostecke des Walls, von welcher man in die Waldung hinab und den nach Stubbenkammer führenden Weg sehen kann.

Schweigend, in Gedanken verloren, umwanderten, bestiegen und maßen wir das Heiligtum, das ohne Zweifel die merkwürdigste Stelle der Stubnitz ist. Kaum aber hatten wir es verlassen, so ward das Band unserer Zungen los. Ein einziger Anblick hatte tausend Ideen erzeugt oder angeregt, die in stillen Waldhallen ausgetauscht wurden, und unter mancherlei Vermutungen und Disputen erreichten wir das Baumhaus Schwierenz, wo der Eingang zur Stubnitz ist. Und hier noch ein Wörtchen von dieser Waldung.

Sie liegt am nordöstlichen Ende der Halbinsel längs dem Meer und bedeckt Berge, Täler und Ufer. Ihre Länge schätzt man zu zwei Meilen, ihre größte Breite zu einer halben Meile und ihren Umfang zu vier Stunden. Ihr Flächeninhalt wird mit einer halben Meile oder fast 3000 Morgen Landes angegeben. Diese Waldung, welche der gemeine Mann auf Jasmund Æde Stow" nennt, gehört zum königlichen Domanium, das hier einen Förster, der im Holze selbst auf dem sogenannten Werder unweit Sassenitz wohnt und mehrere Holzwärter hält. Auch sie ist zufolge eines königlichen Reskripts vom Jahre 1731 mit einer Verknickung (Einfassung, Umfriedung) umgeben und soll fünf Haupteingänge haben, die mit einem Schlagbaum verschlossen werden. Von diesen aber sind jetzt nur vier, nämlich der Schwierenzer, Hager, Werdersche und Rusewaser Baum, in Gebrauch. Für das Durchpassieren von Wagen un dPferden ist eine kleine Abgabe (wo ich nicht irre, für jedes Pferd 2 Schilling) unter dem Namen des Baumgeldes festgesetzt.

Aus diesem Wald, welcher größtenteils aus Buchen und wenigen Eichen besteht, holen nun die sämtlichen Jasmunder und, wie ich schon oben berichtet, auch die Wittower nebst den Predigern beider Halbinseln jährlich eine gewisse Anzahl von Fudern Freiholz, so wie auch der Amtshauptmann jährlich eine bestimmte Anzahl von Faden daher bekommt, der Kohlen nicht zu gedenken, die hier alle Jahre gebrannt und an das Fräuleinstift in Bergen, desgleichen an die hiesigen Prediger geliefert werden. Du siehst hieraus, daß die Waldung stark gelichtet wird, und dennoch ist sie noch immer ansehnlich und an manchen stellen sehr dicht. Allein hohe und dickstämmige Bäume habe ich doch nur selten darin wahrgenommen, die meisten sind jung, von mittelmäßigem Wuchs, und alt läßt sie die vorbeschriebene Gerechtsame der Axt nicht werden. Indessen wird doch das Holz jetzt bei einer zweckmäßigen Einteilung der Schläge oder Haue ungleich mehr geschont als vormals. Auch ist neuerdings den Predigern und Gutsbesitzern der Vorschlag gemacht, statt gewisser Fuder Holz eine Quantität Torf anzunehmen. Zu den Zeiten der Vorfahren muß diese Waldung, ungeachtet aller Aufsicht der damaligen Gardevögte von Jasmund, sehr arg mitgenommen sein, denn schon der Herzog Ernst Ludwig von Pommern klagt in einer Verordnung von 1586 laut über die Verwüstung und schlecht Bewirtschaftung der Stubnitz.

Von dem vorhin genannten Schwierenzer Baumhaus muß ich Dir noch sagen, daß seine Bewohner mancherlei Gerät wie Teekessel, wassereimer, Töpfe, Gläser usw. aufbewahren, welches der Reisende zum Gebrauch auf Stubbenkammer gegen eine Vergütung ausgeliehen bekommen kann, wenn er einen Wegweiser aus Sagard mitgenommen hat. Von diesem Katen an zieht sich die Waldung vorwärts über Höhen und Ebenen hin und läuft in einzelne Streifen aus. Sie gehört fast durchgängig zur Herrschaft Spieker und wird uneigentlich auch Stubnitz genannt. Der Weg durchschneidet bald steigend, bald sich senkend dies Gehölz strichweise, bald aber kamen wir ins Freie und sahen seitwärts zur Rechten den Grenzpunkt unserer heutigen Wanderung - das Dörflein Nipmerow, wo wir bei einem Jäger übernachteten, denn es war schon zu spät und jeder von uns zu ermüdet, um die starke Meile, die Sagard vom Baumhaus entfernt ist, noch zurückzulegen.


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 18.07.1998

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