Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.13                                                   August 1998


Randbe(tr)achtungen:

Insekten -

faszinierend formenreich und farbenfroh

Frühling. Wieder beginnt die HOCHZEIT der Insekten. Fünf, sechs Monate lang können wir die kleinen gepanzerten Lebewesen krabbeln oder laufen, rennen oder springen, fliegen oder schwimmen sehen.

Dank ihrer großen Beweglichkeit gibt es die Gliedertiere mit ihrem hornigen Außenskelett fast überall auf unserem Planeten, und das schon 300 Millionen Jahre lang. Doch während sie im Winterhalbjahr weitgehend verborgen leben, treten sie vom Frühjahr bis zum Frühherbst - vor allem in Verbindung mit anderen, unsere Sinne angenehm reizenden Natureindrücken - weitaus zahlreicher und augenfälliger in Erscheinung:

Kein Raps- oder Mohnfeld, das nicht von Hummeln und Bienen durchsummt ist. Keine Wiese, über der nicht Falter gaukeln. Kein Blütenstand, auf dem wir nicht Schwebfliegen oder Käfer entdecken. Kein Tümpel, keine Pfütze auf dem Feldweg, in deren Nähe uns nicht Libellen scheinbar neugiervoll umschwirren. Keine belaubte Brombeerhecke, die nicht Strauchschrecken und Saumwanzen Schutz böte. Kein krautiger Ackerrain, an dem wir nicht Ameisen, Schmetterlingsraupen und -eier oder Spinnentiere finden. Kein Totholz, kein Stein auf dem Waldboden, unter denen sich nicht Krabbeltiere verbergen. Und selbst bei einer Strandwanderung kann es geschehen, daß Insekten (z.B. die Sandschlupfwespe) unser Interesse wecken...

Ein aufmerksamer Beobachter wird bei seinen Spaziergängen schon nach kurzer Zeit feststellen: Auch auf der Insel Rügen befindet sich die artenreichste Tierklasse der Erde auf Erfolgskurs! Und für diese Erkenntnis muß er weder einen Hochstand erklimmen noch stundenlang in unbequemer Pose ansitzen oder abseits der Wege kreuz und querdurch Wald und Wiese streifen. Eindrucksvolle und aufschlußreiche Insektenbeobachtungen gelingen so gut wie überall.

Vielverkannte Ekeltiere

Insekten sind so gänzlich anders als wir. Ihr Stützgerüst, das von Muskeln bewegt wird und das Körpergewicht trägt, bildet gewissermaßen eine Außenhaut aus gegliederten, innig verbundenen Panzerplatten. Dieses hornige "Skelett" verbindet geringes Gewicht mit großer Festigkeit; es stützt nach innen und schützt nach außen.In modifizierter Form kann es sowohl sehr fest sein (Schneidekanten der Kiefer) als auch dünn und biegsam (Verbindung der Panzerplatten), gas- und flüssigkeitsdurchlässig (Kiemen) oder sinneswahrnehmend (Linsen der Augen). Es gibt Insekten, die schmecken mit den Füßen und hören mit den Beinen. Manche "erriechen" ihre Beute oder den Geschlechtspartner oft kilometerweit. Andere entgiften Gifte in ihrer Nahrung, setzen zu ihrer Verteidigung biologische Waffen oder chemische Kampfstoffe ein. Sogar Ultraschall können einige wahrnehmen, die Schwingungsebe des Sonnenlichtes erkennen oder sich ganz meisterlich als Stein, Blatt, Zweig oder Vogelkot tarnen ...

Unter den Insekten gibt es hervorragende Einzelkämpfer. Aber auch Staatensysteme mit fast "menschlicher" Arbeitsteilung zwischen Arbeiterkolonnen, Herrschern, Hausdienern und Soldaten wurden von verschieden Arten hervorgebracht. Und Insekten können - was uns Menschen lebenslang trotz gegenteiligen Begehrens verwehrt bleibt - aus ihrer Haut. Denn ihre Chitinhülle setz dem Wachstum Grenzen; während der Entwicklung der Ægepanzerten Ritter" wird sie daher mehrfach abgestreift und erneuert.

Tja, selbst das noch: Die Art und Weise, wie Reize von den Sinnesorganen der Insekten erfaßt, zu Informationen verarbeitet und blitzschnell zu Signalen umgeformt werden, stellt die Fähigkeit irdisch-menschlicher Copputerspezialisten mitsamt ihrer komplizierten Gerätetechnik schlicht und einfach in den Schatten.Ein Computer hätte im Vergleich zur Verarbeitungskapazität eines Insektengehirns die Größe eines Hochhauses ... Aber im Gegensatz zum Menschen, und damit werden die (Dis-)Proportionen wieder geradegerückt, nehmen die Insekten die Informationen aus der Umwelt immer nur selektiv auf. Anders gesagt: Ein Insekt wird immer nur so "intelligent" sein, wie es im Überlebenskampf von Vorteil ist. - Wie gut für den Menschen! Oder war das zweideutig?

Wie dem auch sei: Trotz ihrer hochentwickelten Sinne und der Beonderheiten ihres Körperbaus, die aus Menschesicht geradezu "abnorme" Leistungen ermöglichen, gelten Insekten - mt Ausnahme lediglich der Tagfalter - als Ekeltiere. Trotz ihres Farbenreichtums, ihrer Formenvielfalt und ihrer filigranen Schönheit werden sie mit Vorurteilen wie gräßlich, häßlich, gefährlich oder schädlich bedacht. Die Reaktionen vieler Menschen beim Erblicken eines Insekts oder eines Spinnentieres pendeln so folgerichtig zwischen nicht zu unterdrückender Abneigung und Totschlag im Affekt.

Dabei sind nur wenige Insekten tatsächlich giftig, und nur einige verbreiten Krankheiten oder ziehen land- und forstwirtschaftliche Kulturen in Mitleidenschaft. Und selbst dagegen ist "Insektenkraut" gewachsen: 1889 wurde in Kalifornien erstmals ein Marienkäfer, der bis dahin nur in Australien heimisch war, zur Bekämpfung eines Citrus-Schädlings eingesetzt. Erfolgreich! Und so hat der kleine rote Käfer mit der schwarzen Zeichnung seitdem auf ganz simple biologische Weise in 32 Länder, darunter auch in Europa, den Citrus-Anbau gerettet.Ähnliche Beispiele einer natürlichen Schädlingsbekämpfung gibt es inzwischen viele.

Die Masse der vielverkannten Kleintiere, von denen mehr als 200 Millionen Einzelwesen auf jeden Menschen kommen, leistet unersetzbare ökologische Dienste. Insekten halten sozusagen die "Insektenwelt" für uns Menschen im Gleichgewicht: Sie bauen Pflanzenstreu und Tierkadaver ab, liefern Honig, Wachs und Seide, und von der Bestäubung allein durch Bienen hängt direkt und indirekt ein Drittel der menschlichen Nahrung ab. Insekten sind darüber hinaus Bestandteil fast jeder anderen Nahrungskette. Gerade viele fettreiche Kleininsekten liefern die Energie, die für das Überleben anderer Tiere notwendig ist. Nehmen wir nur die Blattläuse: Ihr für den Menschen lästiges Auftreten an Rosen und anderen Nutz- und zierpflanzen bietet die Gewähr, daß zahllose Jungvögel die ersten Lebenswochen überhaupt überstehen ... Auch hier spielen die "Kleinen" im Naturhaushalt also eine viel wichtigere Rolle als die "Großen".

Sammelleidenschaft und Sammlerglück

Es gibt daher viele Gründe, sich näher mit den kleinen Rittern im Tierreich zu beschäftigen. Doch gerade diese "rationalen" Gründe waren es nicht, die mich trotz erster Mißerfolge bewogen, Insekten und Spinnentiere fotographisch abzubilden, sie also nicht in Schaukästen, sondern in Diakoffern und Bilderalben zu sammeln. Es waren vornehmlich Æemotionale" Beweggründe; will sagen, es waren Reaktionen auf das häufig beobachtete Sammeln und Töten. Der minutenlange Todeskampf eines Käfers im Tötungsglas stieß mich ebenso ab wie ein sich noch regender, aber schon genadelter oder eingetüteter Schmetterling. Warum, so fragte ich mich, sollen Tiere leiden oder sterben müssen, nur um (m)einer Besitzgier zu frönen?

Aus heutiger Sicht, zumal ausgestattet mit einigem Hintergrundwissen, war die Hinwendung zum Æobjektlosen Sammeln" für mich wohl die richtige Entscheidung: Die Tier verbleiben lebend in ihrer natürlichen Umwelt, man lernt ihr Verhalten, die Beutetiere und Wirtspflanzen kennen. Geduld im Ausharren und Vermeiden ungeschickten Hantierens mit der Fotoausrüstung vorausgesetzt, öffnet sich eine völlig neue Welt. Einen solchen Artenreichtum, eine solche Mannigfaltigkeit der Formen und farben kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man bisher nur Reh, Fuchs oder Hase vor dem Fernglas hatte ...

Befriedigende Insektenaufnahmen sind durchaus ohne großen Aufwand zu erzielen. Ein Minimum an Technik (Stativ, Objektiv für Nahaufnahmen, ggf. Vorsatzlinse für einen Abbildungsmaßstab 1:1) reicht für den Anfang völlig aus. Auch ein Blitzgerät für den Nahbereich ist nicht unbedingt vonnöten, es sei denn, man nutzt es als Mittel der gestaltung (Hervorheben des Objektes, Abdunkeln des Hintergrundes). Denn schon nach ersten Versuchen wird offenbar, daß nicht nur der (Hobby- )Fotograf, sondern auch das "Modell" zeitlang verharrt. Doch dieses Schutzstarre dauert nicht Minuten, und viele Käfer, Tagfalter und Wanzen huschen vorsichtshalber gleich davon. Eine unauffällige Annäherung, das Arretieren der Kamera und das Einstellen des Tiefenschärfenbereiches müssen demzufolge bei aller gebotenen Vorsicht recht zügig geschehen.

Mein Lehrgeld habe ich anfangs des öfteren bezahlt. Noch überwältigt von den Eindrücken, war ich beim Betrachten der Fotos dann bitter enttäuscht: Hier störte die Bewegungsunschärfe, dort eine nicht ausreichende Tiefenschärfe, auf einigen Bildern hob sich der Hauptdarsteller überhaupt nicht von seiner natürlichen Kulisse ab ... . Doch bald wog jede gelungene Aufnahme einen ganzen "verschossenen" Film wieder auf. Sammelleidenschaft und Sammlerglückbedingen einander inzwischen wie bei jedem anderen Hobby, das vom Zusammentragen einzelner Objekte lebt und neuen Wissensdurst weckt.

Nahaufnahmen einheimischer Insekten sind übrigens in der Fotoschau RANDBE(TR)ACHTUNGEN zu sehen, die gegenwärtig im Museumsabteil der Sassnitzer "Stubnitz-Buchhandlung" ausgestellt ist.

Dr. Reinhard Bülte


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 18.07.1998

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