Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.9                                                  Dezember 1995


Ein ganz "normaler" Wachttag

Eine Umfrage in deutschen Landen wollte klären helfen, ob man die Damen und Herren, die in den Großschutzgebieten Dienst tun, nun "Wacht" oder "Ranger" nennen soll.

Niemand kam auf die Idee sie als "Mädchen für Alles" zu bezeichnen. Zugegeben, der Titel wäre zu lang, aber zutreffend wäre er allemal.

"Sagen sie, wo ist denn nun die Kammer, wo der berühmte Stuhl drin steht?" (Stubbenkammer, Königsstuhl [d. A.]) oder "Können sie mir helfen, mein Mann hat sich ein Ohr abgerissen", oder "Wir haben ein Mitglied unserer Reisegruppe verloren, was sollen wir tun?", oder "Wir hatten einen Ehekrach, deshalb steht unser Auto im Halteverbot.". So oder ähnlich lauten die Bitten, Fragen oder Entschuldigungen denen sie ausgesetzt sind im Dienst. Sie, das sind auch die sieben (nein, nicht Zwerge, obwohl die auch vieles taten) Nationalparkwächter des Außendezernates Jasmund.

Drei von ihnen sind schon seit Mai 1991 dabei, Pioniere der ersten Stunde sozusagen. Und sie können ein Lied davon singen, wie unglaublich schwer es ist, Tausenden gegenüber zu stehen und als einzige "Waffen" Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Verständnis, aber auch Wissen, Glaubwürdigkeit und sicherlich auch eine Prise Humor einsetzen zu können. Da reicht manchem schon ein falsches oder hartes Wort, um den Cholesterinspiegel hochzutreiben.

Es ist dann schon fast eine Beruhigungstherapie, wenn die Nachricht kommt, daß Kühe ausgebrochen sind, die nun eine historische Weideform, die Waldweide, betreiben und statt dessen dringend in die Koppel zurück müssen. Also los - man hat ja schon einschlägige Erfahrungen gesammelt - beim Einfangen der Forstpferde.

Anruf im Amt: "Parkplatz Hagen. Hier ist eine Reisegruppe mit 50 Personen, die gern eine Führung hätten. Es hatte uns das letzte Mal so gefallen. Nein, angemeldet sind wir nicht.". Planung umwerfen, zwei Mann müssen die Führung übernehmen. Eigentlich sollten ja Schilder gesetzt, Wege belegt, Trampelpfade verbuscht, Besucherführungen gebaut werden, aber der Gast ist König. Auf dem Weg zum Treffpunkt schnell noch eine Ermahnung, den Weg doch nicht zu verlassen. Diskussion - lang und uneinsichtig. Was nun? Aber da gibt es ja noch den Holzbock, der schlimme Krankheiten übertragen kann. Die Wirkung ist verblüffend. Danke dir, Holzbock! Eigentlich könnten wir noch Schlangen, Vogelspinnen, Großkatzen und Haie gebrauchen - als Argumentationshilfe.

Dann die Reisegruppe. Bevölkerungsquerschnitt. Blitzschnelles Einstellen auf Interessen, Kenntnisstand der Besucher, Mentalität - inzwischen eine Erfahrungssache.

Erfahrung ist überhaupt das A und O in diesem Job. Erfahrung und Einstellung zur Sache. Nichts ist schlimmer als unglaubwürdig zu wirken oder sogar zu sein. Das Reden zu Allen, das Eingehen auf jeden Einzelnen, das Beweisen durch Naturerlebnis bedeutet eine interessierte, aufmerksame Zuhörerschaft und für sich selbst ein neues Erfolgserlebnis, Stärkung des eigenen "Ich".

Nach derzeit leider nur 80 % täglicher Arbeitszeit der Feierabend. Der Weg nach Hause aber ist gespickt mit Hindernissen. Wieder ein offener Balken der zum Einfahren verleitet. Weiter mit 70 km/h zum wohlverdienten Nachmittagskaffee (und Fußball ist auch noch).

Es war nur ein kurzer Moment, mehr das Gefühl, daß dort etwas war. Zurück. Und wieder einmal hat das Gefühl nicht getäuscht. Fast verdeckt durch ein Hügelgrab die Dachaufbauten eines Wohnmobils. Personen abwesend. Also Foto, Verwarngeldzettel, Überweisungsträger. Bloß nichts vergessen, weder die Beweissicherung noch die Rechtssituation. Nun aber nach Hause! Der Arbeitstag - und die erste Halbzeit - sind vorbei.

Morgen ist ein neuer Tag und schon ein festes Programm, das den Vorteil hat, bestimmt wieder der operativen Planung zum Opfer zu fallen. So wird es nie langweilig, fordert die ganze Persönlichkeit immer neu und greift trotzdem auf den erworbenen Erfahrungsschatz zurück.

Diese Erfahrungen zu kündigen, heißt Wissen "in die Wüste zu schicken", heißt aber auch Akzeptanzverlust, sinkende Dienstleistung und Glaubwürdigkeit für den Nationalpark und seine Verwaltung. Kann man sich das leisten?

Die Wacht


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 17.07.1998

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