Der Nationalpark Jasmund

Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V.

Nr.1                                                 März 1992


Der Wald im Nationalpark Jasmund

Der mit Buchenwald bedeckte Kreidehorst der Halbinsel Jasmund gehört einschließlich der Kreideküste zum Nationalpark Jasmund. Dieses Gebiet ist als einzigartig zu bezeichnen und gehört zu den letzten Naturlandschaften Mitteleuropas. Die vielen Quellen, Bäche, Moore, Wiesen und Kreidekliffs sind mannigfaltige Lebensräume für eine Vielfalt an seltenen Pflanzen- und Tierarten.

Im Gebiet des Nationalparkes gedeihen viele Orchideenarten. An der Steilküste wächst die Eibe und die Elsbeere. In den Bachtälern befinden sich Erlen, Eschen, Ulmen und der Ahorn. Als Bodenflora finden wir in den Uferschluchten Seggen, Riesenschachtelhalm und Moose und in den baumfreien Zwischenmooren Wollgräser, Torfmoose, Fieberklee, Sonnentau und Moosbeere. Der Nationalpark Jasmund wurde mit der Verordnung vom 12.09.1990 zum Schutzgebiet erklärt. Eine wichtige Grundlage dafür waren die internationalen Kriterien (IUCN-Kriterien) für die Schutzgebietskategorien. In der Kategorie "Nationalpark" wird festgelegt, daß es sich um Gebiete handelt, die nicht wesentlich durch menschliche Nutzung oder Inanspruchnahme verändert sind, in denen geschützte Pflanzen- und Tierarten leben, die Biotope von besonderer Bedeutung für Wissenschaft und Bildung oder eine besonders schöne Landschaft aufweisen. Weiterhin wird gefordert, daß eine wirtschaftliche Nutzung und jede andere Inanspruchnahme wirksam verhindert und beseitigt wird sowie Besuchern unter bestimmten Bedingungen zur Erbauung, Bildung, Kulturvermittlung und Erholung Zutritt gewährt wird. Der Nationalpark wurde festgesetzt, um die Vielfalt die besondere Eigenart und hervorragende Schönheit der in Europa einzigartigen Kreidelandschaft mit ihren charakteristischen und entsprechendem Standort- und Vegetationsmosaik in naturnahem Zustand zu erhalten. Es geht um die Ermöglichung eines von menschlichen Eingriffen weitgehend ungestörten Ablaufs der Naturprozesse sowie um die Regeneration standörtlich reich differenzierter Naturwälder einschließlich ihrer natürlichen Dynamik auf großer Fläche.

Die Waldfläche des Nationalparkes beträgt rund 2 000 ha. Davon sind die Hälfte über 80 Jahre alte Rotbuchenbestände. Um eine wirksame Einschränkung der wirtschaftlichen Nutzung zu erreichen, wurde das Gebiet das Nationalparkes in Schutzzonen eingeteilt. Die Schutzzone I (Kernzone) umfaßt hauptsächlich das Gebiet des bereits seit 1935 bestehenden Naturschutzgebietes der Stubnitz, östlich der Straße von Sassnitz zur Stubbenkammer. In dieser Kernzone sollen forstliche Maßnahmen grundsätzlich nicht mehr durchgeführt werden. Hier wird der Natur eine freie, vom Menschen unbeeinflußte Entwicklung ermöglicht. Ziel ist es, den Besuchern des Nationalparkes zu ermöglichen, in naher Zukunft auf größerer Fläche unberührte Natur zu erleben.

Die Schutzzone II a (Entwicklungszone), die den Rest der Waldfläche beinhaltet, soll durch eine naturgemäße Waldplege langfristig zur Schutzzone I entwickelt werden. Es sollen mehrschichtige, ungleichartige und artenreiche Wälder entstehen. Aus diesem Grunde wurde eine "Richtlinie zur Behandlung der Wälder im Nationalpark Jasmund" erarbeitet und zwischen Landwirtschaftsministerium und dem Umweltministerium abgestimmt und verbindlich erklärt. In ihr wird für die Zone II gefordert, daß die Waldpflege frei von wirtschaftsbestimmender Nutzung bleibt und natürlich vorkommende (autochthone) Baumarten wie Esche und Spitzahorn, Schwarzerle, Vogelbeere, Sand- und Moorbirke sowie die Vogelkirsche in ihrer Entwicklung gefördert werden. Für Fächen mit gebietsfremden Baumarten wie Fichte,

Lärche, Kiefer, Weißtanne, Roteiche und Weißerle sind kahlschlaglose Umwandlungsformen anzuwenden. Hier ist vor allem der Unterbau bzw. Voranbau mit autochthonen, standortgerechten Baumarten durchzuführen. Alle Pflegemaßnahmen sollen das Ziel haben, naturnahe Bestände aufzubauen, die sich dann, wenn das Schutzziel erreicht ist, sich selbst überlassen werden.

Wichtig ist auch, daß in den Waldbeständen der Kernzone alles natürlich anfallende Totholz belassen wird. Diese Maßnahme dient vor allem der Erhaltung und Erweiterung der vorhandenen Flora und Fauna. So bleiben die Nährstoffe praktisch in einem geschlossenen System. Ein abgestorbener Baum und ein im Boden belassener Stubben werden von unzähligen Kleinstlebewesen zersetzt und vollständig kompostiert. An diesem Zersetzungsprozeß sind auch niedere Pflanzen wie Flechten und Pilze beteiligt. Von den so wieder freigesetzten Nährstoffen leben eine neue Baumgeneration sowie Gräser, Kräuter und Sträucher. Die Kleinstlebewesen bilden wiederum die Nahrung für Kleinsäuger und Vögel, die wiederum Nahrung für größere Tiere und Greifvögel sind.

Die Forstwirtschaft hat die Möglichkeit, eine nicht von der Produktion und wirtschaftlichen Nutzung der Waldbestände ausgehende Pflege durchzuführen. Alle Maßnahmen, die im Gebiet des Nationalparkes durchgeführt werden, müssen dem Schutzziel entsprechen. So hat eine jahrhundertelange Nutzung aus den einstigen Urwäldern in Mitteleuropa meist gleichförmige,

überschaubare Wirtschaftsforsten gemacht. Im Nationalpark Jasmund besteht nun die Aufgabe, vorerst das Gebiet der Kernzone zum Urwald zurückzuentwickeln. Einige Unterschiede zwischen Urwald und Wirtschaftswald sollen hier angeführt werden.

1. In Wirtschaftswäldern werden die Bäume mit 100 bis 160 Jahren genutzt. Im Urwald stehen meterdicke mächtige alte Bäume, die natürlich absterben.

2. In Wirtschafswäldern wird das Holz genutzt, bevor es abstirbt und verfault. Im Urwald gibt es auf der ganzen Fläche viele stehende und liegende tote Bäume.

3. Im Wirtschaftswald findet man hauptsächlich Baumarten, die einen hohen Holzertrag erwarten lassen. Im Urwald wachsen Baumarten, die von Natur aus in diesem Gebiet auf bestimmten Böden und dem jeweiligen Klima angepaßt gedeihen.

4. Wirtschaftswälder sind sehr häufig einförmig und übersichtlich geordnet und gegliedert in Jungwuchs, Dickung, Stangenholz und Baumbestand. Urwälder sind sehr differenziert. Auf engstem Raum stehen hier alte und junge, dicke und dünne, große und kleine sowie lebende und tote Bäume.

Nationalparke bieten die beste Möglichkeit, wieder natürliche Lebensräume zu schaffen und ihren vielfältigen Pflanzen- und Tierbestand zu schützen. Den Besuchern sollen sie Wissen über den Wald und Verständnis für die Natur vermitteln.

Herbert Körner


Hinweise, Kommentare und Vorschläge bitte an teschke@mathematik.hu-berlin.de

Letzte Änderung: 15.10.1998

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